Zettelkasten als Wissensspeicher und Denkwerkzeug

Stellen Sie sich vor, dieser Blogbeitrag enthielte einen so interessanten Gedanken, dass Sie den für später aufheben wollten. Was würden Sie tun?

  • Blogbeitrag ausdrucken
  • Blogbeitrag als PDF abspeichern
  • Notiz auf Papier machen
  • Notiz elektronisch mit Notizen App machen
  • Notiz mit Word erstellen und als Datei abspeichern
  • Lesezeichen im Browser setzen
  • Ein Tool wie Evernote einsetzen.
  • … ?

Die Qual der Wahl und andere Probleme

Die Möglichkeiten sind vielfältig – und das ist auch schon das erste Problem, das das Wiederfinden später erschwert: War das nun eine Notiz oder eine PDF oder doch ein Lesezeichen? Wonach muss ich suchen? Nach welchem Stichwort?

Nächstes Problem: Existiert diese Notiz oder das Lesezeichen noch – oder war das doch auf dem alten Rechner? Gibt es diese Notizen App noch und kann ich das Dateiformat überhaupt noch lesen?

Die Lösung

Ich habe für mich eine ganz einfache Lösung gefunden und die heißt „Zettelkasten“. In 15 Monaten habe ich schon 3.000 (!) Zettel erstellt. Das Paradoxe ist: Je größer der Fundus wird, um so besser finde ich mich darin zurecht. Und der Zettelkasten hilft sogar beim Denken.

Wenige Prinzipien

Damit das funktioniert, muss man ein paar Prinzipien befolgen:

  • Jeder Zettel sollte quasi nur einen Gedanken enthalten.
  • Jeden Gedanken sollten Sie in eigenen Worten ausformulieren, so dass er aus sich selbst heraus verständlich ist.
  • Jeder Zettel muss (stabile) Verweise auf andere, passende Zettel enthalten und vice versa.
  • Der Zettelkasten sollte persönlich sein.

Elektronisch, aber simpel

Theoretisch funktioniert das auch mit Papier-Zetteln, komfortabler (vor allem besser durchsuchbar) ist das aber elektronisch. Weil so ein Zettelkasten „für die Ewigkeit“ gedacht ist, sollte man ein möglichst simples Dateiformat wählen und sich nicht von einer bestimmten App oder Anbieter abhängig machen. Zu empfehlen sind einfache Textdateien, die alle in einem (!) Ordner liegen.

Konkretes Beispiel

Nehmen wir an, ich möchte mir ein paar Notizen zu dem bisher Gesagten machen. Zunächst einmal schaue ich also im Zettelkasten, ob es schon einen Anknüpfungspunkt gibt. Vielleicht hatte ich früher schon mal was zum Thema „Wissensmanagement“ notiert. Dann könnte ich dort z. B. ergänzen:

Eine interessante Methode zum persönlichen Wissensmanagement ist der Zettelkasten [[202306260737]]  .

Dann würde ich in eine neue Textdatei schreiben:

# 202306260737 Zettelkasten

Eine interessante Methode zum persönlichen Wissensmanagement [[202203300804]] ist der Zettelkasten.[^1]

Es gibt 4 Haupt-Prinzipien. [[202306260742]]

[^1]: https://ralfzosel.de/zettelkasten_als_wissensspeicher_und_denkwerkzeug

Diese Textdatei würde ich in dem einen Ordner abspeichern mit dem Dateinamen 202306260737 Zettelkasten.md. (Die Endung md steht für Markdown – Sie können auch txt nehmen.)

Stabile Links

Die Zahlen im Dateinamen haben nur den Zweck, dass sie die Datei eindeutig kennzeichnen – selbst wenn sich der Dateiname später einmal ändern sollte (z. B. weil ich auf die Idee komme, dass die Überschrift „Zettelkasten nach Luhmann“ noch passender wäre). Dann bleibt die Verlinkung über die Zahl trotzdem stabil. Bewährt haben sich hier sog. Zeitstempel, also einfach Erstellungsdatum rückwärts geschrieben und Uhrzeit.

Redundanz

Der Dateiname und die erste Zeile, also die Überschrift des Zettels, sind redundant. Das hat sich bewährt, weil dann das Thema jedes Zettels beim Betrachten des Ordners und beim Betrachten des Zettels selbst erkennbar ist.

Nur Text oder Markdown

Die Fußnote ist im Markdown-Format geschrieben. Markdown ist einfach zu schreiben, gut lesbar und man kann damit schön formatieren. Es geht aber auch ohne.

Details auf weiteren Zetteln

Damit auch der zweite Verweis im obigen Zettel funktioniert, würde ich dann einen weiteren Zettel anlegen mit dem Dateinamen 202306260742 Zettelkasten-Prinzipien.md. Vielleicht könnte ich diesen Zettel zusätzlich mit einem alten Zettel verlinken, der sich schon mit dem Thema „Prinzipien“ im Allgemeinen beschäftigt.

Suchen und Finden

Das war’s schon. Wenn ich später irgendwann den Zettel suche, gehe ich einfach in den einen Ordner und mache eine Volltextsuche nach „Zettel“ o. ä. Sollte mir dieser Begriff entfallen sein, könnte ich auch nach „Wissensmanagement“ o.ä. suchen und käme so schon einmal in die Nähe und dann über den Link zum Ziel.

Je besser ein Zettel verlinkt ist, um so leichter finde ich ihn, wenn ich danach suche – oder auch „zufällig“. Vielleicht beschäftige ich mich in ein paar Jahren in einem ganz anderen Zusammenhang noch einmal mit dem Thema Wissensmanagement und stoße dann auf weitere zusammenhängende Themen – eigentlich ja gar nicht „zufällig“, sondern mit System.

Wozu nutze ich meinen Zettelkasten konkret?

Ich nutze meinen Zettelkasten für alles, was mir interessant erscheint und was ich irgendwie für später behalten will – beruflich und privat. Hier ein paar Beispiele:

Warum Englisch?

Wie Sie sehen, sind die meisten meiner Zettel in Englisch. Das kommt nur daher, dass ich mein Englisch verbessern will, vgl. dazu schon hier und mehr dazu hier. Das geht aber in jeder anderen Sprache genauso gut.

Welche Software?

Für einen Zettelkasten braucht man nicht zwingend spezielle Software. Für mich hat sich aber „The Archive“ als sehr praktisch herausgestellt. Das ist nicht perfekt, aber „gut genug“ und vor allem einfach, d. h. ich kann mich auf den Inhalt konzentrieren und werde nicht so abgelenkt wie z. B. bei Obsidian, Zettlr oder Logseq. Am praktischsten finde ich bei „The Archive“ die Suchzeile oben und die Trefferliste links und dass der Klick auf einen internen Link eine Suche auslöst. Die Suchfunktion an sich ist aber etwas rudimentär, obwohl ja das Suchen und Finden in einem Zettelkasten ziemlich wichtig. Ich behelfe mir mit einem kleinen Python-Skript: https://github.com/ralfzosel/zk-smart-search

Wie hilft das jetzt beim Denken?

Indem ich die Zettel in eigenen Worten ausformuliere, übe ich ständig, mir die Dinge wirklich klar zu machen. Ähnlich wie beim Bloggen übrigens – nur für sich selbst. Mit der ständigen Suche nach Anknüpfungspunkten mache ich mir bewusst, wie alles zusammenhängt. Das ist etwas ganz anderes, als nur ein paar Stichworte irgendwo zu notieren.

Der Jurist und Soziologe Niklas Luhmann, der als Vater der Zettelkasten-Methode gilt, spitzt das in seinem Erfahrungsbericht „Kommunikation mit Zettelkästen“ zu:

Ohne zu schreiben, kann man nicht denken; jedenfalls nicht in anspruchsvoller, anschlußfähiger Weise.

Das Modewort „second brain“ (also „Zweitgehirn“) für so einen Zettelkasten ist natürlich Quatsch. Unser Gehirn ist doch etwas ganz anderes als nur ein paar vernetzte Texte. Persönliches Wiki, aber mit ein paar Prinzipien (s.o.), trifft es schon eher.

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